Die Bertha-von-Suttner-Schule im Spiegel der Presse

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Donnerstag, 14.04.2011

Fremd fühlt sich keiner von ihnen

Schriftsteller Peter Härtung diskutierte in der Suttner-Schule mit Jugendlichen

"..Ich fühle mich als Deutscher. Ich bin hier geboren und kenne auch nichts anderes", erklärte Shehzad Akhtar. dessen Eltern aus Pakistan stammen. Gemeinsam mit neun weiteren Podiumsgasten diskutierte er am Sonntagabend unter der Überschrift "Mir ist fremd..." in der Aula der Bertha-von-Suttner-Schule.

Die von Ulrike Holler moderierte Gesprächsrunde mit dem Autor Peter Härtung war die Auftaktveranstaltung zur städtischen Veranstaltungsreihe "Mir ist fremd...", in der bis zum Herbst aus unterschiedlichen Perspektiven ein Blick auf Fremdes geworfen werden soll (wir berichteten). Die Schirmherrschaft hat Peter Härtling übernommen.

Die jugendlichen Podiumsgäste schienen prädestiniert, etwas zu dem Thema zu sagen. In Deutschland aufgewachsen, stammen ihre Familien aus Südafrika, Japan oder der Türkei. Schnell zeigte sich aber, dass sich kaum einer so richtig fremd fühlt. Im Gegenteil, sie fühlen sich hier zuhause und nicht ausgegrenzt.

GESPRÄCH: Shehzad Akhtar. Michael Steinbach. Larissa Schulmeyer und Batuhan Bilgic (von links) waren vier der zehn Podiumsgäste, die in der Bertha-von-Suttner-Schule darüber diskutierten,
was ihnen fremd ist.
Foto: Schwappacher


"Ich bin hier angekommen", stellte etwa Michael Steinbach fest, der mit neun Jahren aus Polen nach Deutschland kam. Von anfänglichen Problemen erzählte Garsten Volz, dessen Mutter aus Südafrika kommt. Auf große Ablehnung sei er aber nicht gestoßen, eher sei er als Exot anerkannt worden. .Ich fühle mich hier nicht fremd", machte auch Melike Engin klar. .Ich fühle mich aber nicht als Deutsche, sondern als Türkin. Kann mich aber auch so hier wohlfühlen".

So sehr sich Ulrike Kotier auch bemühte, etwas Fremdes konnten die Podiumsteilnehmer in ihrem Alltag nicht benennen. Da half es auch nichts, dass Holler auf Klischees setzte und scheinbar davon ausging, dass Migranten schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben müssten. Auch die Frage .Grenzt ihr euch ab, macht ihr euch fremd?" brachte die Diskussion nicht voran. Die Jugendlichen entsprachen einfach nicht den stereotypen Erwartungen.

Stattdessen gingen sie selbstbewusst mit ihrer Abstammung um und präsentierten sich nicht als Opfer von Ausgrenzung und Rassismus. So sei es .eigentlich viel cooler, Ausländer zu sein", sagte Melike Engin vor knapp 60 Zuschauern. Mit blonden Haaren falle man an der Bertha-von-Suttner-Schule viel schneller auf.

Eine ganz andere Erfahrung mit dem Fremdsein macht Peter Härtling. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtete der damals 13-Jährige mit seiner Mutter vor der heranrückenden Roten Armee. .Ich erlebte all das, was der Krieg mit sich bringt." Im schwäbischen Nürtingen fand die Flucht ein Ende. Dort angekommen, überkam Härtling ein Gefühl der unendlichen Fremde. Die Bevölkerung Nürtingens nahm ihn und seine Familie als schmutzige Eindringlinge wahr und machte sie zu Außenseitern. Ich wurde fremd gemacht".

Die intensiven Erfahrungen des Autors sind mit der außergewöhnlichen Situation und den extremen Bedingungen des Krieges zu erklären und schon allein daher nur schwer mit den Erfahrungen der anderen Podiumsgäste zu vergleichen.

Die prägenden Erfahrungen ermöglichten es Peter Härtling aber, einen anderen Zugang zu den Jugendlichen zu finden als Ulrike Holler. So war es der Autor, der ihnen doch noch ein Bekenntnis zur Fremde entlocken konnte. Melike Engin räumte auf eine Nachfrage ein, sich in der Türkei eher fremd zu fühlen und dort als Deutsche wahrgenommen zu werden.

Ein Gefühl für das Fremde bewies Peter Härtling auch bei Batuhan Bilgic. der bei seinen Großeltern aufwuchs, die aus der Türkei stammen und kaum Deutsch sprachen. In diesem Spagat zwischen türkisch orientierten Großeltern und seinem deutschen Umfeld erkannte Batuhan Bilgic rückblickend etwas Befremdliches. "Ich bin in zwei Kulturen zuhause und sitze zwischen den Stühlen. Gerade das finde ich aber auch gut". So gab es während der gut zweistündigen Podiumsdiskussion doch noch einige Momente, in denen der Bogen zum eigentlichen Thema des Abends geschlagen wurde.

Dass Fremdheit gar nichts negatives bedeuten muss, betonte Peter Härtling zum Ende der Veranstaltung. So mache er sich auch selbst fremd gegenüber Trends und schaffe so eine hilfreiche Distanz. Durch die Erfahrung der Fremde in Nürtingen habe er gelernt. Abstand zu halten, eigenständig zu bleiben und zu sagen: "Nein, das geht so nicht."

Bericht: Schwappacher

Quelle: Freitagsanzeiger vom 14.04.2011