Montag, 09.08.2010
Jugendliche halten Erinnerung an KZ-Außenstelle wach
Eine Erfolgsgeschichte beginnt in der Regel mit weniger Hürden. Als Alfred J. Arndt, Herbert J. Oswald und Gerd Schulmeyer vor fast 40 Jahren in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar reisten, machten sie eine erschreckende Entdeckung: Auf einer Karte der ehemaligen NS-Konzentrationslager sahen sie ihren Heimatort Mörfelden bei Frankfurt als Außenstelle des elsässischen KZ Natzweiler-Struthof verzeichnet.
"In Mörfelden war man über die neuen Erkenntnisse wenig begeistert", erinnert sich Gerd Schulmeyer, der heute Stadtparlamentarier der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) ist. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit durch die drei jungen Männer empfanden viele in den 70er Jahren als Nestbeschmutzung. Die Existenz einer KZ-Außenstelle wurde bestritten. Doch die Jugendlichen sammelten Hinweise, suchten Überlebende und fanden glaubwürdige Quellen.
Zwischen August 1944 und November 1944 wurden etwa 1.700 ungarische Jüdinnen gezwungen, für den Bau der ersten Rollbahn des Frankfurter Flughafens zu schuften. Nur 350 bis 400 von ihnen erlebten das Kriegsende. Nach jahrelangen Diskussionen in der Stadtverordnetenversammlung stellte die Stadt 1980 einen Gedenkstein auf. Mittlerweile befasst sich eine Stadthistorikerin mit dem Thema, vor zehn Jahren wurde ein historischer Lehrpfad angelegt, Mörfelder Schüler engagieren sich gegen das Vergessen.
"Die Recherchen ergaben, dass die Zwangsarbeiterinnen zwischen 13 und 40 Jahren alt waren und damals von Auschwitz nach Mörfelden deportiert wurden", sagt die 18-jährige Stephanie Hamela. Sie ist eine der Oberstufenschüler der Bertha-von-Suttner-Schule, die sich um den Lehrpfad rund um das ehemalige Lagergelände kümmern. Auf 1,5 Kilometern kann man mit Hilfe von 16 Tafeln, auf denen Texte, historische Dokumente und Fotos gezeigt werden, den Weg der Frauen nachgehen.
Das Engagement der Schüler ist zur Tradition geworden. Jedes Jahr säubern die zwölften Klassen der Mörfelder Gesamtschule den Pfad, rupfen Unkraut und befassen sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Viele persönliche Kontakte sind in den vergangenen Jahren zwischen KZ-Überlebenden und Jugendlichen entstanden. Zusammen mit ihrer Freundin Larissa Schulmeyer (18) bietet Stephanie Führungen rund um den Lehrpfad an, sie hat auch Zeitzeuginnen in Paris getroffen.
Im vergangenen Sommer legten die Schülerinnen mit Jugendlichen aus Europa, den USA und Israel zwei Wochen lang den Keller der ehemaligen Küchenbaracke frei, in dem die Gefangenen oftmals misshandelt wurden. "Auch die Enkel von ehemaligen Internierten haben mitgeholfen, die Erde aufzuwühlen", erzählt Larissa. Und Stephanie ergänzt: "Nicht nur die Erde, auch wir wurden dabei aufgewühlt."
Auch der in Mörfelden lebende Schriftsteller Peter Härtling setzte sich für die Aufarbeitung der Geschichte ein. Über die Entdeckung und den Umgang mit der KZ-Außenstelle in Mörfelden hat er 1979 eine Kalendergeschichte geschrieben. "Die Fragenden" endet damit, dass sich die Haltung in der Bevölkerung zur Vergangenheit ändert: "Ihre Geduld setzt sich durch. Den Stein wird es geben." Ein Jahr später erfüllte sich die Hoffnung.
Ende der 70er Jahre hatten Schulmeyer und seine Mitentdecker noch Anzeigen in israelischen Zeitungen schalten müssen, um mit Überlebenden in Kontakt zu treten. Das ist inzwischen anders. "Die Gründung des Heimatmuseums Anfang der 1990er Jahre und die Anstellung einer Stadthistorikerin ermöglichten eine ganz andere Qualität in der Aufarbeitung", sagt Schulmeyer. Prozessakten gegen den ehemaligen Lagerleiter und Deportationslisten brachten immer mehr über das Leben der Zwangsarbeiterinnen zum Vorschein.
Heute ist die Stadt Mörfelden stolz auf ihre Gedenkstätte. Durch die 2004 gegründete und nach einer Überlebenden benannte Margit-Horváth-Stiftung sind viele Projekte entstanden. So treffen Jugendliche aus Mörfelden zum Beispiel auf ungarische Jugendliche, um mit ihnen gemeinsam über die ehemaligen Zwangarbeiterinnen zu forschen. "Dabei unterhalten sie sich über Rassismus und Antisemitismus in Deutschland und Ungarn, heute wie damals," sagt Stadthistorikerin Cornelia Rühlig. In diesem Jahr wird die Museumsleiterin mit Jugendlichen nach Rumänien fahren. Dort wollen sie in Archiven nach Spuren weiterer Überlebender suchen.
Nach der anfänglichen Reserviertheit habe er nicht gedacht, dass sich die Bevölkerung in Mörfelden einmal so ausgiebig mit dem Außenlager befassen würde, sagt Gerd Schulmeyer. "Das ist aber wichtig, damit die Geschichte sich nicht wiederholt."
Bericht: epd
Quelle: Groß-Gerauer Echo 09.08.2010
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